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Blog 'Hier und jetzt und mit allen: Spiritualität'

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Ich entdecke Paralllelen zum Kurs in Wundern in einem Gedicht von Rainer Maria Rilke (26.09.2024)

Am Meer - Atlantik in Portugal Am Meer - Atlantik in Portugal | © Christiane Schenke

Ich glaube an alles noch nie Gesagte

Eine Freundin hat mir ein Buch geschenkt: "Mit Rilke ans Meer: Gedichte", Jan Thorbecke Verlag.

Als ich es das erste Mal aufschlug, fiel mir gleich dieses Gedicht ins Auge. Ich erkannte sofort Parallelen zu "Ein Kurs in Wundern." Diese habe ich unter dem Gedicht beschrieben.

1.
Ich glaube an alles noch nie Gesagte.
Ich will meine frömmsten Gefühle befrein.
Was noch keiner zu wollen wagte,
wird mir einmal unwillkürlich sein.

2.
Ist das vermessen, mein Gott, vergieb.
Aber ich will dir damit nur sagen:
Meine beste Kraft soll sein wie ein Trieb,
so ohne Zürnen und ohne Zagen;
so haben dich ja die Kinder lieb.

3.
Mit diesem Hinfluten, mit diesem Münden
in breiten Armen ins offene Meer,
mit dieser wachsenden Wiederkehr
will ich dich bekennen, will ich dich verkünden
wie keiner vorher.

4.
Und ist das Hoffart, so lass mich hoffärtig sein
für mein Gebet,
das so ernst und allein
vor deiner wolkigen Stirne steht.

Rainer Maria Rilke,
'Mit Rilke ans Meer: Gedichte'
Jan Thorbecke Verlag

1. Strophe:
Der Kurs bezeichnet es als "ein Wunder", wenn es einen Shift in meiner Wahrnehmung gibt, z.B. von negativen Urteilen zu einer liebevollen Sichtweise. Es heisst dort, Wunder sind unwillkürlich (sie geschehen spontan und natürlich), wenn ich alle Blockaden vor der Liebe durch Vergebung auflöse und damit das sog. Ego-Denksystem hinter mir lasse. Das frömmste Gefühl, was es gibt, ist natürlich die bedingungslose Liebe, die sogenannte Agape.

2. Strophe:
Das Ego-Denksystem nährt sich von Groll, also von der Abwehr gegen Menschen und Situationen oder gar gegen mich selbst (Selbstverurteilung). Und wie oft sind wir in Abwehr im Alltag, oft unbewußt. Aber das ist eben nicht natürlich, nicht unsere wahre Natur. Deshalb fühlen wir uns dann auch nicht wohl, nicht in Frieden. Ohne Zürnen und ohne Zagen – also ohne Groll und ohne Abwehr und ohne Urteil. Eine vergebende Sicht, wie sie der Kurs in Wundern vermittelt. So wie ein Kind, was voller Vertrauen ist.

3. Strophe:
Die vergebende Sicht öffnet uns für den reinen Geist, Spirit, oft auch Seele genannt. Auf dieser Ebene sind wir alle eins. Da kommen wir her und da gehen wir hin. Der Tropfen ist das Meer. Das Bekenntnis, von dem Rilke spricht, ist, darin total aufzugehen und zu erkennen, dass man in Wahrheit dasselbe ist. Ein Akt der Hingabe. So wie der Tropfen das Meer ist, so sind unsere Seelen göttlich.

4. Strophe:
Das Ego, von dem ich oben schrieb, würde das als "übertrieben", in alter Sprache "hoffärtig" finden. Sich aufblasen zu etwas Größerem. "Ich – göttlich? Das ist aber überheblich!", würde es urteilen. Im Kurs lernen wir, dass das falsche Demut ist. Wir sind viel größer als dieses einschränkende, trennende Ego-Denken. Wenn wir unsere wahre Größe fühlen können, sehen wir die ganze Welt neu. Das gilt für jeden. Wir können dann die anderen gar nicht mehr klein machen und be- und verurteilen, sondern nur noch auf Augenhöhe sehen. Das ist nicht Größenwahn und Hoffart, sondern wahre Demut. So wie Augustinus sagte "Liebe und dann tue, was du willst.".


Christiane Schenke 2021

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