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Blog 'Erinnerungen'

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Ich war eine sportliche Niete (30.04.2016)

'Aber du siehst doch so sportlich aus!' War ich aber nicht. 'Aber du siehst doch so sportlich aus!' War ich aber nicht. | Die 'Silastik'-Trainingsjacke trug ich trotzdem zum Schein in der Freizeit.

Obwohl ich spindeldürr war, stellte ich im Leidensverbund mit den korpulenten Mädchen die sportliche Problemschicht der Klasse dar. Sport und ich - das war und blieb die ganze Schulzeit über ein unlösbares Problem.

„Wie kann das sein? Dabei siehst Du doch so sportlich aus!“, ich weiss gar nicht, WIE oft ich diesen Spruch in meiner Kindheit gehört habe.

Nur der jährlich stattfindende Ausdauerlauf rette mich vor der Note 5 auf dem Zeugnis. Ich absolvierte ihn zäh mit zusammengebissenen Zähnen. Es hing ALLES davon ab, dass ich ihn durchhielt.

Besonders fürchtete ich mich vor Völkerball. Grotesk daran war, dass dieses unterhaltsame Spiel immer als Belohnung vor den Ferien angesetzt wurde. Für mich war es eine Strafe.

Es begann schon vor dem Spiel. Kein Volk wollte mich haben. Ich war vollkommen heimatlos. Bis meine Zwangsintegration durch die Lehrerin in eine der beiden Mannschaften erfolgte. Ab diesem Moment war ich wehrloses Kanonenfutter.

Bälle waren für mich Munition – Kanonenkugeln. Sie gruben sich gnadenlos in die Magengrube. Unfähig, wegzulaufen oder den Ball zu fangen, musste ich mich abschießen lassen. Und selbst wenn es mir versehentlich mal gelungen wäre, einen Ball zu fangen, hätte ich mit ihm nichts anzufangen gewußt. Ich brach unter seiner Last förmlich zusammen. Es war mir schleierhaft, wie es Menschen schaffen konnten, den Ball derartig weit über das ganze gegnerische Feld ins Ziel zu befördern.

Es gab nur einen einzigen Ausweg, möglichst schnell abgeschossen zu werden, bitte möglichst schmerzarm, und dann im Hinterland das Ende der Kampfhandlungen abzuwarten. Am Ausgang des Spiels war ich völlig desinteressiert.

Ich verfiel auf den Trick, mich mit dem Feind kurzzuschließen. Ich vereinbarte vorher mit einem Jungen, er möge mich human abschließen, damit es schnell ein Ende hat. Das machte er gern, aber scheinheilig wie er war, schoß er natürlich scharf.

Geräteturnen war ebenfalls unmöglich. 10 Jahre lang rannte ich bis zum Bock und blieb davor stehen. Nee, kein Witz, wirklich! Es ist mir bis heute schleierhaft, wie man über das Teil gelangen soll! In so einer unnatürlichen Haltung!

Und es ist mir schleierhaft, wie ich das ein einziges Mal geschafft habe. Vor allem OHNE es je geübt zu haben! In der Sportprüfung geschah dieses Wunder. Meine taktvolle Lehrerin, die ansonsten meine aprupten Bock-Stopps kommentarlos hinnahm, zischte durch die Zähne: „Spring, sonst bekommst Du eine 5!“ Und ein Wunder geschah, ich sprang drüber, war darüber selbst ganz verdutzt und bekam eine 3.

Bis in meine Träume verfolgte mich die Choreografie, die man auf dem Stufenbarren vollführen sollte. Diese Abfolge von Auf- und Abschwüngen und sonderbaren Windungen, um dann in einer komischen Schraube kopfüber den Abschluß zu finden. Es blieb nur ein Ausweg, mich von den beiden Schülern, die links und rechts am Gerät als Hilfestellung eingesetzt waren, willenlos um das Gerät wickeln zu lassen. Das war entwürdigend.

Schlimm war auch das Sportfest. Es fand im Freien auf dem Sportplatz statt, so dass meine Niederlagen sogar noch von der ganzen Schule bewundert werden konnten. Zum Beispiel beim Weitsprung. Bis zur Ziellinie laufen, mit dem rechten Bein an der Ziellinie ankommen, mein Gott, wie machen die anderen das bloß, dass dann nicht gerade das linke Bein vorn ist? Und dann: EINS - ZWEI - DREI - HOPP. Und - PLUMPS. Der Hintern, obwohl spindeldürr, kippte nach hinten und nun wurde meine Sprungweite bis zum Abdruck des Hinterns im Sand gemessen. Die Zahl wurde laut angesagt und ich versank vor Scham, zwar nicht im Sand der Sprunggrube, aber im Erdboden.

Erst Jahrzehnte später begann ich mich vom Sportschock zu erholen und den einen oder anderen Sport freiwillig und gern zu machen.


Christiane Schenke 2021

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